Sonntag, 5. April 2015

Ich nutze 20 Prozent meines geistigen Potentials, seit ich den Scientology-Konzern verließ

Weil in den USA auf HBO eine scientology-kritische Doku viel Wirbel erzeugt, in Deutschland dies aber unbeachtet bleibt, möchte ich auch kurz meinen Senf dazu beitragen.

Auch ich war mal in Scientology. Meine Karriere in diesem Wirtschaftskonzern, der unter dem Deckmantel "Religion" nicht funktionierende "Lebenshilfen" teuer verkauft und hörige Sklaven heranzüchtet, ist schnell beschrieben: Einstieg, Aufstieg, Abstieg, Ausstieg. Dreizehn Jahre drin, dann folgte ein beschwerlicher Ausstieg... Ausführlicher, also wie ich mit Lügen reingezogen, umgedreht, permanent behavioral modifiziert wurde etc. finden Sie auf einer meiner Websites.

Eines vorweg, damit man den folgenden Text versteht: Als Angestellter einer Scientology-Org gab's (und gibt's) nie Geld, selbst nicht für 80- bis 100-Stunden-Wochen...

Im Folgenden ein Auszug aus meinem Buch Scientology schafft uns ab, Kapitel Das zweite Mal in Kopenhagen. Ein verpfuschter Happiness Rundown. Drei Mädchen in einem Aufzug. Ich nutze schon 11 Prozent meines geistigen Potentials:

... Da es nie Kohle gab, meldete ich mich beim "Director of Communications", einer überarbeitet aussehenden Frau, um Einstein-Flyers auszutragen.1 Ich bewunderte sie: Sie bekam nie Auditing, sie war Tag und Nacht in der Org, wie schaffte sie das nur? Ich sah sie allerdings auch nie lachen oder in glücklichem Zustand.2 Für 1000 ausgetragene Flyer gab's, glaube ich, 10 Mark. Ich nahm gleich 2000 Stück mit. Schon mal 2000 Stück ausgetragen? Und das in den freien Stunden? Ich schon! Zumindest eine Stunde lang, dann dachte ich, "die spinnen ja, da brauch ich doch endlos lange", also steckte ich in jeden Briefkasten gleich fünf Flugblätter oder mehr hinein, aber selbst das dauerte immer noch endlos. Also warf ich die restlichen Flugblätter in eine Mülltonne. Ich hatte auch eine brauchbare Rechtfertigung parat: "Da die Flyers sowieso weggeworfen werden, kann das genauso gut ich erledigen." Doch danach bekam ich enorme Schuldgefühle. Ich fühlte mich wie ein Verräter. Nur einfallsreiche Rechtfertigungen, wie "Wenn ich mal mehr Geld habe, werde ich das alles wieder gut machen" konnten mich einigermaßen beruhigen. Das nächste Mal trug ich die Flugblätter gewissenhaft aus. Das hielt ich etwa eine Stunde lang durch, dann steckte ich wieder fünf oder mehr Flyers in jeden Briefkasten. Doch den großen Rest schaffte ich nicht mehr. Ich nahm mir vor, ihn ein andermal zu verteilen, trug ihn nach Hause und machte mir ein paar schöne Stunden. Meine hochkommenden Schuldgefühle verdrängte ich mit der Rechtfertigung: "Das nächste Mal trage ich doppelt so viele Flyers doppelt so schnell aus." Damit konnte ich leben. Vorläufig. Doch auch das nächste Mal schaffte ich es nicht. Und auch die Male danach nicht. Nach einiger Zeit hatten sich so viele Flyer auf dem Speicher des Hauses einer Bekannten (auf dem ich für 100 DM pro Monat schlafen durfte) angehäuft, dass ich für das Verteilen wahrscheinlich viele Wochen gebraucht hätte. Frustriert bis apathisch trug ich danach überhaupt keine Flyers mehr aus, sondern sammelte sie auf dem Speicher, während ich fleißig jede Woche die 20 Märker kassierte. Da aber damals die Dianetik-Bücher fast jeden Monat teurer wurden, hatte ich bald Berge von Flugblättern, die veraltet waren. Jetzt hatte ich die Rechtfertigung, sie nicht mehr austragen zu dürfen. Welch halb befreites Aufatmen! Auf dem Dachboden, neben meinem Bett war viel Platz, dort türmten sich die Tausenderstapel der veralteten Dianetik-Handzettel. (Und als ich nach einem halben Jahr oder so auch von dort ausziehen musste, weil ich viele Mieten im Rückstand war, hinterließ ich riesige Stapel von Dianetik-Promo, die inzwischen wie die Skyline von Manhattan aussahen, bedruckt mit dem ins Auge springenden Slogan: "Wir verwenden nur 10 Prozent unseres geistigen Potentials." Wie wahr! Ich war das beste Beispiel dafür! Aus heutiger Sicht würde allerdings sagen, dass ich damals mindestens schon 11 Prozent verwendet hatte, indem ich die Flugblätter nicht austrug, aber das Geld kassierte.)

...


Seit ich Scientology völlig aufgearbeitet, also Scientology voll und ganz exorziert habe, also ein "Scientology-Clear®" bin , kann ich behaupten, dass ich jetzt schon 20 Prozent meines geistigen Potentials verwende. Kleiner Joke als Abschluss.

Diese Aktion wurde eingeführt, um die Buchverkaufsstatistiken nach oben zu treiben. Nach ein paar Monaten wurde sie wieder abgeschafft. Der "Einstein-Flyer" wirbt für das Buch Dianetik: Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit. Er heißt Einstein-Flyer, weil er angeblich Albert Einstein zitiert: "Wir nutzen nur 10 Prozent unseres geistigen Potentials." Mit Dianetik- und Scientology-Techniken könne man die restlichen 90 Prozent erlangen. Doch weder hat Einstein dies gesagt, noch stimmt diese These. Siehe Wikipedia, Zehn-Prozent-Mythos.
Ein Jahr später wurde sie zu einer Unterdrückerischen Person (SP, Schwerverbrecher) erklärt und ausgeschlossen. Auf dem Schwarzen Brett konnte man über ihre vielen "Verbrechen" lesen.