Dienstag, 5. Dezember 2017

Eine dystopische Story-Welt

Wir sind echte Glückspilze.

Ich wache auf. Ein neuer Tag liegt vor mir. Ein schöner Tag, denn ich lebe nicht einem Überwachungsstaat, nicht in einem Polizeistaat, ich lebe in einer Demokratie, die meine Daten schützt. Ich bin ein Glückspilz.
Während ich Yoga mache, überlege ich, wie ich in einem Roman eine dystopische Story-Welt entfalten würde, wie einen brutalen Polizeistaat, wie einen paranoiden Überwachungsstaat. Und dann kommt's mir: Eine innere Bedrohung müsste her, und zwar eine so gewaltige, dass die Bürger selbst die totale Überwachung wünschen, und eine massive Polizeipräsenz fordern bzw. dagegen nichts einzuwenden haben.
Wie eine solche Bedrohung schaffen? 
Also erst mal gucke ich nach Irak, Syrien etc. Da ist immer Unruhe. Und ich lasse Fake-News verbreiten über WMDs, die es im Irak angeblich gibt. Dann bombe ich den Irak zurück in die Steinzeit, na ja, sagen wir, ins 7. Jh., also in jene Zeit, in der ein Gesetz religiöse und weltliche Belange regelte. Nachdem ich den psychotischen irakischen Herrscher eliminiert habe, entsteht natürlich, das weiß ein jeder, ein Machtvakuum, das die verschiedenen, an Selbstwertdefiziten leidenden Stammesführer füllen wollen und müssen. Krieg zwischen ihnen, die Waffenindustrie freut sich, die Bevölkerung leidet, Panzer, Kampfflugzeuge, erneut Bomben, das Giftgas Sarin wird hergestellt, man braucht die richtige Mischung der Precursors, findet sie, testet sie, Tote überall. Und die Bewohner flüchten. Wohin? In die reichen Ölstaaten? Nie und nimmer! Dort sind sie unerwünschte, minderwertige Menschen. Okay, also flüchten sie nach Norden, durch die unfreundliche Türkei, in die menschenfreundliche EU. Die EU, nicht vorbereitet auf solche Flüchtlingsströme, ist uneinig: wie sie aufnehmen, wie verteilen? Und schließlich entscheidet die Großfürstin der EU autokratisch, also ohne die anderen EU-Staaten zu fragen, dass alle Flüchtlinge kommen sollen, alle, uneingeschränkt, unkontrolliert, und sie kommen. Ganz klar, dass einige Staaten sich dagegen wehren; bis dato unbekannte, extrem-nationale Führer werden automatisch nach oben gespült, plötzlich kennt sie jeder, denn sie sprechen das aus, was ein nicht geringer Prozentsatz der überrumpelten Bürger empfindet: stoppt den Einwandererstrom. Und sie stoppen den Einwandererstrom. Die Großfürstin wusste natürlich, dass eine solche Reaktion kommen würde, sie wusste auch, dass in dem unkontrollierten Einwandererstrom islamistische Terroristen nach Deutschland kommen, nach Frankreich, nach England. Sie handelt (in meiner dystopischen Geschichte) einfach im Auftrag einer unbekannten Schattenregierung; Attentate folgen, noch stärkere Polizeipräsenz, überall Kameras, überall Überwachung, das ist auch in Ordnung so. Nun lasse ich die Geheimdienste absichtlich Fehler machen, ziemlich gravierende, die ich peu à peu „durchsickern“ lasse, über einen längeren Zeitraum hin, dass das Volk nur mehr den Kopf schüttelt und noch mehr Polizeipräsenz will, noch mehr Überwachung inkl. facial recognition, also insgesamt eine stärkere, gebündelte Kontrolle. Und nun lasse ich alle Geheimdienste zusammenführen, in einer Hand zusammenfassen, nenne diese „Staatsapp“ eine „Smart Hand“. Jeder Bürger weiß nun, dass dies alles wichtig und richtig ist. Schließlich kommt ja „smart“ in diesem Begriff vor. Wir leben ja in smart times, in smarten Wohnungen, in einer smart City. Und jetzt auch in einem smarten Staat. Natürlich darf nun nicht fehlen, dass man auch alle Daten der Bürger erfasst. Und die Einwanderer müssen ihre Smartphones abgeben, der Bürger akzeptiert dies wohlwollend, später lass ich alle Smartphones überwachen, usw. usf. 
So, jetzt hab ich (in meiner Geschichte) die ersten Ansätze für den totalen Polizei- und Überwachungsstaat. Befreit und beruhigt lehne ich mich zurück.
Befreit, weil die Geschichte endlich fertig ist. 
Beruhigt, weil ich nicht in einer solchen dystopischen Welt lebe. 
Gott sei Dank leben wir in keinem Überwachungsstaat, keinem Polizeistaat! Wir leben in einer Demokratie, mit ehrenwerten Politikern, mit von oben kontrollierten Geheimdiensten, mit einem hervorragend funktionierenden Datenschutz. Wir sind echte Glückspilze! 

Mein Kaffee mit Latte ist wieder mal alle.