Freitag, 5. Dezember 2014

Über die Wichtigkeit des positiven Denkens

Alle Welt ist geprägt von Negativem, Angstlevel ist die Basisemotion. Deshalb bin ich für positives Denken. Also wirklich positives Denken. Also keinen Spielraum für negative Gedanken zulassen.
Und so komme ich auch zum Datenschutz. Wer braucht denn schon Datenschutz? Ist er nicht aus negativen Gedanken entsprungen?
Daher bin ich für die Preisgabe aller persönlichen Daten. Wer hat schon was zu verbergen? Nur derjenige, der negativ denkt. Am Besten geht jetzt die Preisgabe aller Daten mit den Smartphones und den Tausenden von Apps. Selbstvermessung bis ins Kleinste, bis hin zu Blutdruck, Pulsfrequenz, Essgewohnheiten, Krankheitssymptome, Schlafstörungen etc. Toll! Und dann öffentlich zugänglich machen, via Facebook und Twitter und ähnlichen Social Network Riesen. Recht so! Auf diese Weise ersparen wir der NSA (no such agency) Milliarden. So können sie sich besser darauf konzentrieren, die gigantischen Datenmassen einzuordnen in Auskunftsmodule: E-Mails, Internet-Accounts, Google-Analytics, Quantified-Self-Angaben, Gesichter können durch rasche Zusammenführung von Datensträngen schneller und mit Querverweisen ausgewertet werden. Das spart komplizierte Algorithmen. Wir erhalten auf diese Weise ein digitales Panoptikum. Der einzige Unterschied zum ursprünglichen Panopticon (erfunden im 18. Jahrhundert, um Häftlinge durch wenige Wärter in kreisförmig angeordneten offenen Zellen rund um die Uhr zu überwachen) ist der, dass die digitale Version zusätzlich Spiegel an allen Seiten hat, sodass der Mensch von jeder Seite her beleuchtet wird. Doch das Ziel, nämlich "Full Take", also als gläserner Mensch predictable zu werden, ist meiner, auf positiven Gedanken basierenden Meinung nach, noch lange nicht erreicht. Was noch fehlt, ist die Ausleuchtung und Quantifizierung von innen her, die Offenlegung der Geheimnisse, der Zurückhaltungen eines Menschen, das Innerste des Inneren eines Menschen nach außen kehren. Da hätte ich einen gigantisch-positiven Gedanken. Da ja bekanntlich Therapieakten (noch) vertraulich und damit nicht zugänglich sind, empfehle ich die Durchleuchtungsmethoden der "Scientology-Religion". Die hat ein speziell ausgeklügeltes System, um das Innerste eines Menschen mit rasterfahndungsähnlichen Techniken zu durchforsten. Sie glauben gar nicht, was da so alles an Gedanken und Gefühlen herumliegt, in Form von Klein- und Großkram. Und in den entlegensten Winkeln. Um sie zu entdecken, entwickelte der hochgeschätzte Menschenfreund Dr. Lafayette Ron Hubbard die strategisch-kybernetische Rasterfahndung am E-Meter, dem "Lügendetektor" der "Scientology-Kirche". Obwohl diese "Kirche" im Organigramm "Organisation" ("Org") genannt wird, die Ableger als Organisationen ("Orgs") mit Abteilungen samt Zwecken aufgelistet werden, wollen wir als positiv denkende Menschen akzeptieren, dass diese wirtschaftlich operierenden Organisationen "Kirchen" sind.
Zur Rasterfahndung des Inneren: das erreichen die Techniken der "Grade". Nach anfänglichen Verfahren, die süchtig machen - es ist nichts Schlechtes, nach etwas Gutem süchtig zu sein -, und nach etlichen komplexen behavioralen Modifikationen am Menschen, damit er sich als positiv denkender Mensch besser erinnern kann und auch durchleuchten lässt, beginnt die Rasterfahndung.
Grad 0: etwa 30 bis 40 Stunden werden alle Probleme mit dem anderen Geschlecht, mit den Eltern, mit den Kollegen in der Arbeit, mit den diversen Vorgesetzten durchleuchtet, minutiös protokolliert und mit Registern versehen, damit man schnell z.B. Schwachstellen (Sex, Geld) finden kann. 
Grad 1 (30 bis 40 Stunden): Probleme und ihre Ursachen werden aufgespürt.  Wieder minutiös geführte Protokolle mit Registern.
Grad 2, der Grad der Zurückhaltungen, der Geheimnisse. Er dauert am längsten. Er hat auch den berühmten Johannesburg Sec Check, mit Fragen wie: Hatten Sie Sex mit Verwandten, mit Gleichgeschlechtlichen etc. Dieser Sec Check alleine dauert oft 20 bis 30 Stunden. Dann folgen die Rasterfahndungen, also wann und wo Heimlichkeiten und Zurückhaltungen erfolgten, wer davon wissen könnte etc. Bald haben wir zusätzlich zum durchleuchteten Inneren auch ein Abbild des Umfelds des Menschen. Und das waren erst 3 Grade...
Also: Weiterhin brav alle Daten per Knopfdruck vom Smartphone an Server, Clouds etc. weitergeben, damit Sie als Person schön brav gläsern und gläserner werden, am Besten noch ein paar Selfies dazu, fertig ist das Paket. Als positiv denkender Mensch sollten Sie nun noch schnellstens zur nächsten Scientology-Kirche pilgern, um sich in Schulden zu stürzen und Ihr Innerstes nach außen kehren zu lassen, damit die NSA Sie von allen sieben Seiten erfassen kann, und Sie samt Ihrem Umfeld predictable sind. Gut so.
Das schien mir jetzt alles ein bisschen zu Scientology-lastig, deshalb möchte ich schnell und abschließend sagen, Scientology geht mir sowas von am Anus vorbei, dass es „vorbeier“ gar nicht geht.
Daher muss ich jetzt schnell etwas Film-Kritik anbringen. Sorry, aber hier hört das positive Denken auf, denn mein Geschmack wurde wieder mal empfindlich gestört.
Also, es geht um Raid 2 (Spoiler Alert), von Kritikern hochgelobt wegen der "einfühlsamen" Szenen zwischen den äußerst brutalen Action-Szenen. Während der Vorgänger The Raid noch ohne viel Plot daherkam, jedoch mit so sensationell gefilmten Aktionszenen der indonesischen Silat-Kampfkunst, dass es einem den Atem verschlug, wollte Regisseur Gareth Evans mit Raid 2 näher auf die Personen eingehen. Gut so! dachte ich im Vorfeld, wurde aber dann enttäuscht. Das Action-Genre arbeitet nach strengen Beats, die, wenn verletzt, den Film episodisch machen. Zum Actionfilm gehört auch ein dichtes Charaktergewebe, damit die Figuren nicht leer sind. Und Evans hat keine Ahnung vom Action-Genre, hat keine Ahnung vom Charaktergewebe. Das einzig gut funktionierende character web ist das zwischen dem Sohn des Bosses und Rama. Yayan Ruhian, der Killer namens Mad Dog aus Raid stirbt dort. In Raid 2 ist er wieder da: als Prakoso, einem Killer erster Güte. Ist für mich verwirrend. Um ihn gefühlsmäßig einzuführen, zeigt ihn Evans mit seiner schönen Frau in einem Cafe, die von ihm getrennt lebt, ein Kind mit ihm hat, das er sehen will, sein Geld zwar nimmt, aber ihm ein Treffen mit seinem Söhnchen verbietet. Soll meine Emotionen wecken, tut es aber nicht. Dann sieht man Prakoso in einer Disko, wie er ein Medaillon mit dem Foto seines Söhnchens anschaut, danach kommen wahre Heerscharen von Schlägern, die er alle fertigmacht, bis er schließlich draußen, vor der Disko, vom Yakuza Killer getötet wird. Bis auf die Action ließ mich alles kalt. Wirkte sogar störend, die Szene mit Yayans schöner Frau. Möglicherweise schreibt deshalb auch Variety: "Sobald das Blutbad einsetzt, erweisen sich Evan's Fähigkeiten als so robust und hyperkinetische wie eh und je..."
Mir wurde eben langweilig. Mehr morgen, mein Kaffee mit Latte ist nämlich alle.