Donnerstag, 2. Oktober 2014

Das große Kotzen

Hier eine weitere Leseprobe aus Kaffee mit Latte - Der Quantenf**k-Roman, Kapitel: Wie ich sehr tief falle


Die Zeit: Mai 1968.

Der Ort: Rom.

Die Situation: Andre ist 19, ist von zuhause ausgerissen, nach Rom getrampt, um hier beim Film entdeckt zu werden. Schon nach einem Tag hat man ihm alles Geld geklaut, er fällt tief, landet in der Gosse. Mit gelegentlichen Statistenjobs hält er sich über Wasser. Er lernt die Bahnhofsclique kennen, alles Stricher. Darunter ist auch Manfred, ein schwuler Österreicher, der bei Susi Nicoletti in Wien Schauspielunterricht genommen hatte und in Rom groß rauskommen wollte. Er war sofort auf dem Strich gelandet. Als versierter Stricher konnte er die Wünsche eines jeden Mannes erfüllen. Gelegentlich ergatterte er lukrative Statistenjobs.

Ohne es zu wissen, ist Andre auch auf einer ständigen Suche nach seinem Ich, das ihm sein Vater jahrelang rausgeprügelt hatte.

Hier also beginnt der Auszug:



Manchmal traf ich Manfred, der fleißig auf den Strich ging, aber auch von einem neuen Film sprach, der bald mit Statisten besetzt werden sollte, ein Kriegsfilm, für den sie Deutsche suchten. Im übrigen sollte ich auch auf den Strich gehen, meinte er immer wieder, das brächte die tägliche Butter aufs Brot.
Obwohl ich einen enormen Ekel vor Männerberührungen empfand und mir meinen unberührten Schwanz für eine schöne Frau aufsparen wollte, hörte ich mir doch immer wieder seine Anekdoten an, teils mit Ekel, teils neugierig, bis ich mich schließlich mit der Idee des Strichs anfreunden konnte.
"Aber in den Arsch ficken lass ich mich nicht!"
"Musst du doch nicht, Gnädigste! Manche Freier wollen einfach nur daliegen und sich einen blasen lassen!" Mit solchen "Entschärfungen" wollte er mir den Mund wässrig machen.
"Aber das kann ich schon gar nicht!" Der Ekel war mir nicht nur ins Gesicht geschrieben, mein ganzer Körper schien ihn auszudrücken.
"Ich schätze, meine Andre'sche wird es auf dem Strich nicht leicht haben", beendete er eines Tages so ein Gespräch und begann mit dem "Unterricht": "Also, am wichtigsten ist, dass der potentielle Freier weiß, wer du bist! Ein Mann oder eine Frau. Am besten gibst du dich als Frau. Auch unter uns werden die Frauen am ehesten angemacht! Ich zum Beispiel bin eine Frau, also geb ich mich so, ich lächle jemand an, dann schau ich dezent weg. Ich nehme nur halbe Bissen, halbe Löffelchen, Stil, verstehst du, mein Dummerchen. Also, mach mir mal nach!"
Wir sitzen in diesem Cafe in der Nähe des Bahnhofs, rundherum ein buntes Treiben von Menschen, ein reger Verkehr auf der breiten Straße, ein Hupen und Schreien und laute Musikfetzen. Es ist Nachmittag, das Cafe ist voll, wir sitzen im Freien unter einem Sonnenschirm, die Sonne sticht, es ist brüllend heiß, Manfred hat mich auf eine Cola eingeladen, jeder Schluck treibt mir den Schweiß raus.

Manfred zeigt mir also, wie man einen Kaffee trinkt, nämlich mit leicht abgespreiztem kleinen Finger und in kleinen Schlückchen. Ich ahme ihn nach. Er korrigiert mich. Schließlich trinke ich meine Cola wie eine Tunte, aber es macht mir Spaß. Es ist eben Stil.
"Und was kann ich denn so verlangen?" will ich wissen.
"Ich verlange immer zehntausend Lire. Manche zahlen mehr, manche weniger."
"Was aber ist, wenn er das nicht zahlen will?"
"Da gibt es einen besonderen Trick: Wenn er sagt, zehntausend sind zu teuer, du aber auf jeden Fall siebentausend haben willst, dann sagst du einfach, ist OK, siebentausend oder achttausend, für weniger machst du es nicht. Und weißt du, was er macht? Er greift nach den siebentausend! Und die hast du dann sicher! Kapiert, Süße? Und mehr als zehntausend zahlt dir sowieso keiner, da musst du schon sehr gut sein. Alles klar? Also gut, wenn du jemanden kennenlernen willst, musst du in der Runde herumsehen, nur ganz leicht Blicke verstreuen!"
Er macht es vor, ich ahme ihn nach. Zuerst mechanisch, dann etwas lockerer. Plötzlich seh ich einen Mann, der mich ansieht. Er ist um die vierzig, von romanischer Bauart, hat eine eigenartige Ausstrahlung.
Manfred: "Siehst du den? Der hat jetzt bei dir angebissen!"
Ich krieg kurz einen Horror.
Manfred: "Der ist voll auf dich abgefahren! Jetzt musst du aufstehen, ihm noch einen schmachtenden Blick zuwerfen und zur nächsten Auslage schlendern. Da blickst du rein, aber nicht wirklich, du schaust nur im spiegelnden Fenster, ob er dir nachsieht! Verlange für den Anfang fünftausend Lire! Los, mach schon!"
Er drängt mich, ich habe plötzlich weiche Knie und richtig Prüfungsangst, eigentlich will ich nicht mehr, aber ich brauche das Geld. Also stehe ich auf, gehe an dem Tisch dieses Mannes vorbei, werfe ihm einen Blick zu, der schmachtend sein soll und gehe zur nächsten Auslage. Im Augenwinkel sehe ich, wie sich der Mann erhebt. Vor der Auslage warte ich, schau ins spiegelnde Glas, ob er schon hinter mir steht, aber ich sehe ihn nicht, sehe nur vorbeitreibende Menschen.
Ich drehe mich um, schau zu Manfred, will ihn mit Gesten fragen, wo denn er geblieben ist, dieser Mann, und sehe, dass er jetzt an Manfreds Tisch sitzt. Ich atme auf, das ist nochmals gut gegangen! Trotzdem bin ich auch frustriert: wieder kein Geld. Manfred verschwindet wenig später mit dem Freier.
Ich gehe in die Villa Borghese. Leider nichts los.
Ich schlender zurück zum Bahnhof. Dort treffe ich wieder Manfred, der zufrieden lächelt, an seiner Seite ein blonder Junge mit vielen Pickeln im braunen Gesicht. Er ist ein Deutscher, er heißt Bernd, er ist sehr sympathisch, er hat nichts zu schlafen, er hat kein Geld, schöne Misere, er will's hier auf dem Strich versuchen, und ob er heute bei einem von uns schlafen könnte? Bei Manfred geht's nicht, bei mir auch nicht, wegen der Signora, aber ich lass mich schließlich überreden. Also sitzen wir hier, am frühen Abend, erzählen uns Geschichten aus dem Leben und warten auf Freier. D.h.: Erzählen tun die beiden, denn ich hab scheinbar noch nichts Erzählenswertes erlebt: Ich bin weder auf dem Strich gewesen, noch hab ich es mit einer Frau getrieben, und schon gar nicht hab ich ein Auto gestohlen. Denn davon erzählt Bernd die meiste Zeit.
Manfred macht mich nach einiger Zeit auf einen Mann aufmerksam, der zu uns herüberschaut, Bernd will sofort zu ihm 'rüber, aber Manfred sagt, dass das mein Freier sei und schickt mich los. Also gehe ich zu dem Mann, schüchtern, und jegliche Gedanken an Sex mit ihm verdrängend. Ich setz mich auf den freien Stuhl. Zuerst mal Geplauder, er ist nicht unsympathisch, er ist so um die fünfzig, er heißt John, er ist amerikanischer Schauspieler deutscher Herkunft, er erzählt viel von seiner Jugend im "Schwatzwold", rezitiert "Roosla in auf der Ha ide" und "Fastgemauerrt in den Arden ste it die Fomm aus Le im gebrrrannt". Ich bewundere sein Deutsch, er bewundert mein Englisch, ich bewundere seine diversen kleinen Rollen in diversen kleinen Filmen, er bewundert mein Aussehen. Schließlich fragt er mich, ob ich mitkommen will. Ich sage ja, und hoffe, dass es schnell vorbei ist. Er verspricht mir fünftausend Lire. Ach, wenn ich die nur schon hätte!
Wir fuhren in seinem kleinen Fiat zu ihm. Ich war sehr aufgeregt, ich fühlte mich wie eine Jungfrau, oder wie ich dachte, dass sich eine Jungfrau das erste Mal fühlen müsste. Am liebsten hätte ich alles rückgängig gemacht. Aber ich wollte nicht mein Gesicht verlieren, ich musste da durch. Ich brauchte Geld.
Er hatte am Stadtrand ein kleines Apartment mit Ausblick auf eine Neubauanlage, von der untergehenden Sonne blutrot beschienen. Ach, wie schön und stimmungsvoll, meinte er, ich nickte, er bot mir eine Melone an, ich nahm an, er bot mir Parmaschinken an, ich nahm an, er bot mir eine Cola an, ich trank gierig. Ich versuchte, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Plötzlich fiel mir auf, dass ich tatsächlich extrem hungrig war und begann zu schlemmen.
Er war schon geil und wollte mit mir sofort ins Bett, aber ich aß noch einen Happen von hier, dann noch ein Bissen von dort, dann einen Becher von jenem Eis, dann wollte ich auch noch von dem Hühnchen kosten, und Fisch gab's auch, und Torte mit Schlagsahne, oh Mann oh Mann, welch eine Lust, meine Geschmackssinne zu reizen. Er warnte mich, bei dieser Hitze alles durcheinander zu essen, aber ich war ausgehungert. Mit vollem Mund wollte ich außerdem alles über ihn wissen, ohne richtig zuzuhören, nur um das Unvermeidbare hinauszuzögern.
Schließlich war ich satt, mehr als satt, und auch die Fragen waren mir ausgegangen. Er stand auf.
"Gehen wir ins Schlafzimmer!"
Wir gehen ins Schlafzimmer.
"Worauf wartest du? Zieh dich aus!"
Ich warte nicht mehr und ziehe mich aus.
"Jetzt stell dich nicht so an, leg dich hin!"
Ich stelle mich nicht so an und lege mich hin.
Auch er ist inzwischen nackt, ich schau weg, sein weißer Schwabbelkörper stößt mich ab. Er legt sich ans Bettende und küsst meine Füße, die ich schon ein paar Tage nicht mehr gewaschen habe, es kitzelt etwas, er steigert sich rein und schleckt sie gierig ab, mit Vorliebe die Zehen, es ist nicht unangenehm, es ist sogar sehr angenehm, Wärme steigt von unten her hoch. Sein braungeränderter Mund kommt jetzt hoch, aufgeregt atmet er mir ins Gesicht: Es ist heiße Jauche, übelste Jauche, mein Magen revoltiert und will großzügig seinen Inhalt hergeben. Schnell versuche ich, den Magenmuskel zu kontrollieren, enorme Anstrengung kostet das, vor allem, weil er mit noch mehr Druck erwidert. Und während ich noch überlege, wie ich auf dem schnellsten Weg zur Toilette komme, küsst mich John. Augenblicklich kotze ich ihn mit einem dicken Strahl an; begleitet von einem tiefen Gutturallaut, drückt es fast alles aus mir heraus; dunkel rinnt an ihm die braune Sauce runter, extrem stinkig, mit grauen Fischbrocken und roten Melonenstückchen darunter. Die aufgerissenen Augen in seinem vollgekotzten Gesicht drücken Entsetzen und Ekel aus, bevor er selbst laut loskotzt, bevor er mich vollschleimt, noch stinkiger, noch unerträglicher, so dass ich erneut kotzen muss, unkontrolliert, gewaltig und explosionsartig, heiß und ätzend. Ich kotze auf ihn, das Bett, das Kissen, ich kotze mit solchem Druck, dass es spritzt. Selbst als mein schmerzender Magen schon leer ist, will immer noch alles raus.
Von krampfhaften Kontraktionen geschüttelt, sehe ich, dass John Ähnliches durchmacht: Aufgestützt auf einem Arm, rutscht er sogar in dieser schleimigen Sauce aus, fällt voll rein, erneut mit lauter tiefer Stimme speiend.
Und wieder drückt's mir alles raus, ich werde richtig ausgewunden von innen, es kommt nur mehr Speichel, die Tränen rinnen mir die Wangen runter, die Säure reizt meine Luftröhre, ich huste heftig.
Nach einigen Minuten des Verschnaufens, in denen wir ab und zu, von Konvulsionen gepackt, husten oder uns räuspern, richtet sich John erschöpft auf und schüttelt den Kopf. Seine Haltung drückt nur eines aus: Raus aus all dem Ekel, weg um jeden Preis.
Wir duschten getrennt, er gab mir fünftausend Lire und sagte mir, dass es für ihn ein unvergessliches Erlebnis gewesen war. Für mich auch.
Er fuhr mich zum Bahnhof, wo die Runde inzwischen größer geworden war: Alle hörten Manfred zu, der breit aus seinem Leben erzählte. Als er mich sah, blickte er mich kurz forschend an, ich nickte, er nickte und schien zufrieden. Später fragte er mich, wie es gewesen war.
"Es war alles sehr neu", sagte ich mit einer vom vielen Kotzen sehr tiefen Stimme. Von der "Kotzorgie" wollte ich ihm später mal berichten. Er war stolz, als diesmal ich ihn auf einen Kaffee einlud. Ich lehnte mich in den Stuhl zurück und atmete auf, ich hatte wieder Geld. Ich war zufrieden. Abgesehen vom Kotzen war es mit einem Mann doch nicht so schlimm gewesen. Ich hatte eine vermeintlich hohe Hürde genommen und konnte rückblickend sagen, dass sie gar nicht so hoch gewesen war. Dieses Gefühl des bewältigten Hindernisses gab mir Sicherheit. Jetzt war ich wer, ich war zwar nur ein Stricher, aber ich fühlte so etwas wie ein Aufblühen in mir, ich fühlte das Keimen eines Ichs. Ich war stolz auf mich.

Bernd, dem ich später mal über diese Kotzorgie berichtete, kommentierte sie trocken: "Da habt ihr aber kolossal abgespritzt!"
 

So, das reichte wohl für eine Tasse Kaffee mit Latte. Zumindest ist meine leer.

Und wenn's weiterhin nichts Interessantes zum WeiterBILDen gibt, gibt's morgen noch einen Auszug aus dem hervorragenden Roman Kaffee mit Latte - Der Quantenf**k-Roman. Wieder über eine Kotzorgie, diesmal ganz anderer Natur, auf einer Party in der riesigen Nobelvilla eines Filmproduzenten, am Fuße des Vesuvs.

Oder ich schreibe über ein paar äußerst gute Serien, wie The Americans, Homeland, Breaking Bad oder Dexter. Übrigens gibt's auch (ausnahmsweise) eine ausgezeichnete Serie aus Deutschland: Im Angesicht des Verbrechens, mit Riemelt, Zehrfeld, Bäumer... Regie Dominik Graf. Die Serie ist so gut, dass sie fast nicht zu Ende produziert worden wäre. So ist das eben in Deutschland: Ihre GEZ-Gebühren fließen zu Produzenten, die nur Schrott wie Tatort produzieren. Meiner Meinung nach hat Im Angesicht des Verbrechens Qualität und Potential, mit den Sopranos verglichen zu werden.

Ach ja, und Serien, in denen Scientologen Hauptrollen spielen, meide ich, selbst wenn sie sehr gut sind. Denn diese Scientologen spenden in die Kriegskasse, aus der die Angriffe gegen Scientology-Kritiker finanziert werden. Solche Serien sind Mad Men (mit Elizabeth Moss), Orange Is the New Black (mit Laura Prepon). Ich weiß, die Scientologin Sofia Milos spielt auch in den Sopranos, aber ihre Rolle ist so klein, dass sie nicht ins Gewicht fällt. (Sie spielt übrigens sehr gut.)