Freitag, 14. November 2014

Noch ein großes Kotzen

Gestern sah ich auf ORF1 die Two and a Half  Men-Episode mit Ashton Kutcher (Staffel 9, Ep. 17, Nicht in meinen Mund!), in der andauernd gekotzt wird, am Schluss sogar so exzessiv in seinem mit Leder und Mahagoni ausgestatteten Jet, dass sich Ashton einen neuen Flieger kaufen musste.
Diese Episode erinnerte mich daran, dass ich versprach, einen weitere Leseprobe aus dem Quantenf**k-Roman Kaffee mit Latte zu bringen. Hier ist sie:

Vorgeschichte:
Rom, 1968.
Andre ist zum ersten Mal verliebt. Er ist erst 19, er wohnt erst kurz bei seiner ersten Freundin Lucia, in Trastevere.
Da er aber nicht weiß, was Frauen wirklich wollen - vor Lucia ist er Jungfrau mit Tagträumen von schönem ersten Sex gewesen - ist der Mißerfolg quasi vorausprogrammiert.


...
Lucia!

Zuerst war alles neu, es war meine erste Beziehung, und ich war verliebt, nicht nur in sie, auch in ihre Dachwohnung in Trastevere mit dem herrlichen Ausblick auf den Petersdom, der aus dem rostbraunen Dächermeer wie eine helle Insel herausragte, vor der breiten Kulisse dunkelgrüner Baumwipfel der Villa Borghese in der Ferne. Anfangs konnte ich diesen Ausblick noch genießen, der mich stets aufs Neue an Michelangelos teils prachtvolle, teils düstere Schöpferzeiten erinnerte, während im krassen Gegensatz dazu von der Straße her der neuzeitliche italienische Lebensrhythmus hochdrang, eine Geräuschkulisse aus Musik, Hupen, Schreien und dem sporadischen Singen einiger verhinderter Opernsänger. Und der ständig blaue Himmel verlieh jedem Tag eine gewisse Urlaubsstimmung, in der meine Angst vor der Gewalttätigkeit des Lebens zu pausieren schien.

Doch inzwischen hatte sich alles verändert. Nicht nur Lucia, auch der Ausblick auf den Petersdom, alles wirkte plötzlich feindlich.

Seit vier Wochen gab's nämlich keine Statistenjobs mehr, seit vier Wochen waren wir täglich beisammen, klebten förmlich an einander. Langsam kamen unsere wahren Seiten zum Vorschein: Lucia wirkte täglich fordernder, sie erwartete einen wirklichen Mann, einen Macher, einen Mann mit Filmconnections, der sie förderte. Und ich? Ich wurde immer weicher, anhänglicher, ängstlicher. Und wenn sie mal mit anderen Männern sprach, wurde ich extrem eifersüchtig. Zudem schien ihr sexuelles Interesse an mir zu schwinden, während meines an ihr immer stärker wurde.

Doch wie groß unsere Gegensätze inzwischen wirklich waren, musste ich schmerzlich erfahren, als mir Lucia aus heiterem Himmel mitteilte, dass sie am kommenden Samstag alleine auf die Party eines Filmproduzenten gehen wollte. Meine Welt brach zusammen, Minderwertigkeitskomplexe und Existenzängste waren schlagartig Sieger über mich. Als sie sah, wie sehr sie mich getroffen hatte, änderte sie ihre Meinung. Aus Mitleid! Ich schämte mich in Grund und Boden. Unsere Distanz wurde noch größer, die ich nur kompensieren konnte, indem ich vom Samstag und dem Filmproduzenten träumte, und hoffte, endlich entdeckt zu werden.

Dann endlich war jener Samstag gekommen. Nach Tagen des Wartens und Hoffens und Träumens konnte ich meine Aufregung nur dadurch überwinden, dass ich öfters im Cafe vis-a-vis Wein trank. Ich wollte ganz cool sein, wenn ich dem Produzenten gegenüberstand. Am frühen Abend brachen wir dann endlich auf, wir fuhren nach Süden, Richtung Neapel. Nach einer Stunde, die von auffallendem Schweigen geprägt war, kamen wir auf eine Straße, die zur Küste führte. Hinter einer Biegung lag urplötzlich unter uns eine malerische Bucht, wie hingezaubert, so dass wir Halt machten und unsere Augen nicht mehr davon loslösen konnten: Ein tiefblaues Meer, in der Ferne der mächtige Vesuv, von der untergehenden Sonne malerisch in Orange bis Blutrot getaucht.

"Wir sind da, da unten ist seine Villa."

Wenig später waren wir am Ziel. Wir hielten vor einer weißen Prunkvilla inmitten von Palmen.

Die Party war schon im Gang, wir hörten Musik und das stete Auf und Ab von Stimmen, unterbrochen von hellem Lachen. Ich war entsetzlich aufgeregt, ein Gedanke quälte mich: Wie sollte ich dem großen Produzenten entgegentreten? Wir gingen hinein, es roch nach tollen Speisen und edlen Parfums. Viele braungebrannte Leute standen locker in Gruppen herum und unterhielten sich. Sie wirkten alle sehr selbstsicher und wohlhabend, sie waren die Reichen, zu denen ich gehören wollte. Ich tat so, als ob ich auch genug Geld hätte. Wir gingen zuerst zum Buffet, belegten unsere Teller und mischten uns dann unter die Leute. Lucia hatte da keine Probleme, jeder dritte, vierte kannte sie. Mir gefiel das überhaupt nicht, denn ich kannte niemanden. Oder fast niemanden. Denn als ich einige Schauspieler von meinen letzten beiden Filmen sah, da war es aus mit meiner falschen Selbstsicherheit, da schämte ich mich urplötzlich meiner Komparsentätigkeit.

Bald hatte ich Lucia aus den Augen verloren, ich ging abermals zum Buffet, mehr aus Verlegenheit denn aus Hunger, und nahm mir Krabbenfleisch und Reis mit Seefrüchten. Dazu trank ich köstlichen alten Barolo.

Der Wein riss mich aus den Minderwertigkeitsgefühlen, Körperlust und Ausgelassenheit kamen hoch. Auf der Suche nach dem Produzenten stellte ich mich öfters zu Gruppen dazu, wurde aber meist von den Gesprächen ausgeschlossen, indem man mich einfach ignorierte. Aber so erfuhr ich wenigstens, dass der Produzent noch nicht da war. Er war angeblich noch bei Besprechungen für seinen nächsten Film.

Ich begann die Leute zu beobachten. Und mir fiel auf, dass einige gar nicht so selbstsicher waren, und dass viele irgendetwas "hinhielten", entweder ihre Bräune, oder ihren Schmuck, oder ihr Gesicht, oder gleich ihren ganzen Körper.

Ich sah mich nach Lucia um, suchte sie in den diversen Etagen, die alle durch gewundene Marmorstufen miteinander verbunden waren. Denn richtige Türen gab's in diesem Haus fast keine, außer zu den Toiletten und Badezimmern. Immer wieder landete ich auf irgendeinem Balkon mit phantastischem Ausblick auf die pittoreske Bucht mit den vielen beleuchteten Villen und dem am Horizont dunkel thronenden Vesuv.

Und dann sah ich Lucia, sie sprach mit einem jungen Mann, er hatte schönes schwarzes Haar, ein markantes Gesicht mit leuchtenden Augen und vollen Lippen, er strahlte Erfolg aus. Die beiden lachten öfters. Ich fühlte mich plötzlich sehr klein und ausgeschlossen. Ich trank weiter Barolo, um darüber hinweg zu kommen.

Ich stellte mich zu einer lachenden Gruppe, allerdings bekam ich nicht mehr mit, worüber sie eben lachten. Der Erzähler war offenbar ein Schauspieler, der von seinen diversen Misserfolgen zu erzählen schien, was alle sehr amüsant fanden. Besonders ein hagerer weißhaariger Mittfünfziger explodierte öfters mit harter Lache, was wiederum ich lustig fand und darüber ausgiebigst lachte, worauf mich alle anblickten. Der Schauspieler erzählte eine andere Geschichte, die ich fast nicht verstand, wieder lachten alle, wieder lachte der Weißhaarige sehr trocken, wieder lachte ich über ihn, wieder blickten mich alle an. So ging das ein paar Mal, bis mich schließlich der Schauspieler fragte: "Und wer sind Sie?"

"Ich bin auch Schauspieler!" sagte ich.

"Dann verstehen Sie ja meine Probleme!" erwiderte er.

"Voll und ganz, denn ich hab noch viel größere!" Und schon wollte ich von meinen Problemen erzählen, doch der Weißhaarige fiel mir ins Wort und sagte: "Wir sind alle im gleichen Boot!" Ich konterte: "Das stimmt nicht ganz: Sie sind alle im gleichen Boot, aber ich schwimme!"

Wieder platzte der Weißhaarige vor Lachen, in das auch die anderen einstimmten. Jetzt amüsierten sich wirklich alle über meinen Wortwitz.

Ich ging zum Buffet und freute mich über den tollen Abgang, irgendwie fühlte ich mich jetzt akzeptiert. Ich sah mich wieder nach Lucia um, konnte sie aber nirgends entdecken. Dafür stach mir eine dreißigjährige attraktive Frau ins Auge, die mich anlächelte. Ich war inzwischen schon ziemlich über den Dingen, ich ging auf sie zu, stark und männlich, jetzt konnte ich Lucia eins auswischen! Wenn sie flirtete, dann konnte ich das auch.

Die Frau saß auf einer Lederbank, ich setzte mich unaufgefordert neben sie, sie lächelte mich an, ich lächelte zurück, sie reichte mir ein halbvolles Cognacglas, ich fühlte mich sehr geehrt und nahm es an, ihr Bein berührte meines, ich zuckte kurz zurück, sie erhöhte den Druck und sagte: "So treffen wir uns wieder!"

Ich wusste nicht, wie dies gemeint war, ob's eine Verwechslung war, eine neuartige Anmache oder nur der Alkohol.

"So treffen wir uns also wieder!" sagte auch ich, was hätte ich denn sonst sagen sollen? Die Frau lachte. Ich spürte ihre offene Weiblichkeit. Ich sah die Falten um ihren Mund, fand ihr Gesicht sehr sympathisch und fragte mich, wie sie wohl im Bett war. Ganz leicht legte ich meine Hand auf ihren Schenkel. Dass es bei dieser Frau so locker ging, erstaunte und verwirrte mich zugleich. Wo war der Haken?

"He, du willst doch nicht etwa meine Frau anmachen?" sagte jemand hinter mir. Das also war der Haken. Ich erschrak, und mich umdrehend, hielt ich meine Hände schützend vors Gesicht, um Schläge abzuwehren. Der hagere Weißhaarige von vorhin stand vor mir. Ein paar Leute lachten.

"Hat er dich belästigt?" fragte er die Frau. Er blickte streng. Ich hatte nicht nur Angst vor Schlägen, ich empfand auch eine tiefe Scham, weil viele Gäste mich anstarrten und meine unmännliche Angst sehen konnten.

Ich musste ziemlich dumm geschaut haben, denn der Weißhaarige lachte wieder sein kurzes trockenes Lachen, in das auch die Frau einstimmte. Diesmal konnte ich nicht lachen, denn mir wurde plötzlich klar, dass die beiden nur ein Spiel mit mir gespielt hatten. Ihr Lachen traf mich tief, das schallende Gelächter der anderen gab mir den Rest. Ich stand auf und ging auf unsicheren Beinen auf den Balkon. Am liebsten hätte ich die Party verlassen. Ich wollte nichts mehr mit den Menschen hinter mir zu tun haben. Ich merkte erst jetzt, dass ich das Cognacglas immer noch in der Hand hielt. Ich leerte es, lehnte mich auf die Brüstung und versuchte, das letzte Geschehnis zu verarbeiten. Was war da überhaupt geschehen?

Plötzlich spürte ich im Magen ein unangenehmes Druckgefühl. Ich dachte mir, bleib ganz ruhig, es vergeht wieder! Es verging aber nicht, in Wellen kam es, immer stärker wurde es. Mit einem Mal fiel mir auf, dass mir total schlecht war. Langsam richtete ich mich auf und sah mich automatisch nach einer Kotzgelegenheit um, aber überall nur weißer Marmor oder teure Teppiche, wo war doch gleich die nächste Toilette? Ein neuerlicher Druck in meinem Magen ließ meinen Blick fieberhaft umherirren: Ich suchte Eimer, Papierkörbe oder Toilettentüren, aber ich sah nur Obstschalen, Snackteller und Handtaschen. Es war fast nicht mehr auszuhalten. Gab es denn nirgends Abfalleimer? Langsam ging ich durch den menschenüberfüllten Raum, ganz langsam, um ja nicht den Magen durch eine Erschütterung zu überreizen. Aber dann war es schon zu spät: Mein Magen explodierte, eine dicke rote Fontäne schoss aus meinem Mund, mitten unter die Leute. Es war unglaublich befreiend. Immer wieder explodierte ich. Bruchstückhaft sah ich Leute vor mir flüchten, sah ich meine rote Kotze auf dem weißen Marmorboden, mit dem hellen Reis dazwischen. Sah ich erschrockene Gesichter, die auf ihre angekotzten Anzüge oder Kleider hinunterblickten. Sah ich fassungslose Blicke. Hörte ich die ersten Schimpfkanonaden. Dann wachte ich neben der Klomuschel auf, ich hing halb an ihr, halb in ihr, der Rest meines Körpers lag irgendwie seitlich von mir weggestreckt. Ich starrte in die rote Kotze in der Klomuschel und wusste nicht mehr genau, was ich hier suchte. Dann stand der Weißhaarige neben mir, in der Hand ein Glas sprudelndes Selters.

"Ist der Produzent schon hier?" wollte ich laut und lallend wissen. Deswegen war ich ja hier, erinnerte ich mich.

...

Fortsetzung in Kaffee mit Latte - Der Quantenf**k-Roman