Nach dem Arnie-Müll etwas Besseres: ein weiterer Auszug aus dem hervorragenden Quantenf**k-Roman Kaffee mit Latte; die versprochene
Leseprobe übers Kotzen verschieb ich.
Die folgende Leseprobe
ist der direkte Anschluss an die Kotz-Szene (sie soll zeigen, wie verkehrt
die moralischen Werte sein können, wenn man als Kind permanent verprügelt und
damit negativ kognitiv geprägt wird):
Die Zeit: Mai, 1968.
Der Ort: Rom.
Das Geschehen: Andre hat eben seinen ersten Freier "befriedigt", jetzt ist es später Abend...
Die Zeit: Mai, 1968.
Der Ort: Rom.
Das Geschehen: Andre hat eben seinen ersten Freier "befriedigt", jetzt ist es später Abend...
Josefa, die spindeldürre Römerin mit den hervorstehenden Zähnen, die manchmal in unserer Bahnhofsrunde saß, für gewöhnlich aber an anderen Orten verkehrte, riss mich aus meiner Reverie, indem sie in meinem Blickfeld auftauchte und zielstrebig auf mich zu ging, als ob sie mich schon gesucht hätte. Ich kannte sie als ruhig und lächelnd-ausgeglichen, jetzt aber war sie aufgeregt und fahrig. Nervös nahm sie mich auf die Seite und erzählte mir, dass sie eine Frau getroffen hätte, die, entehrt und deswegen aus ihrem Dorf ausgestoßen, nun auf den Strich gehen wollte. Und ich wäre der ideale Mann, sie dabei zu beschützen, meinte sie. Natürlich müsste ich ihr, Josefa, fünfzig Prozent des Gewinns geben.
Obwohl die Geschichte der "Entehrten" mich an billige Groschenromane erinnerte, überlegte ich nicht lange und begann zu rechnen: Wenn die Nutte mir täglich zwanzigtausend Lire ablieferte, dann war ich nach einer Woche wohlhabend, nach einem Monat reich und nach einem Jahr stinkreich. Mein Ziel von Sonne, Südseestrand und Meer begann sich am Horizont abzuzeichnen.
"Wo ist sie?"
"Gleich hier in der
Nähe, in einem Cafe. Sie ist aber total betrunken."
Wir brachen sofort auf.
Josefa hängte sich bei mir ein und trippelte an meiner Seite. Ich spürte ihren
knochigen Körper und überlegte, wie es mit ihr im Bett wäre, denn ich wusste
von ihr, dass sie ab und zu selbst auf den Strich ging.
Als wir bei dem Cafe
ankamen, bekam ich ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Mit aufgesetzter
Forschheit trat ich ins laute Lokal. Josefa führte mich zu einem Flipper, an
dem eine Frau lehnte. Sie war jung und hübsch, aber der Alkohol machte sie
hässlich: Das also war "unsere" Frau. Sie ließ immer wieder
unverständliches Zeug heraus, schimpfte auf nicht vorhandene Leute und
belustigte die Zuhörer, meist Männer. Bullige
Männer. Jetzt bekam ich grimmiges Bauchweh, dachte an einen Rückzieher, wollte
aber auch nicht mein Gesicht verlieren. Also ging ich auf sie zu, bewusst
niemandem in die Augen blickend. Und bemüht, etwas Arroganz in mein Auftreten
zu legen, sagte ich forsch, mit einer vom Kotzen tiefen Stimme:
"Namo!" (Gehen wir!)
Das hatte sie nicht
gehört. Das hatte niemand gehört. Das hatten höchstens die bulligen Männer
gehört, die mich gleich auslachen würden. Also sagte ich noch forscher:
"Namo!"
Dabei packte ich sie an
einem Arm, Josefa nahm mehr aus Verlegenheit ihren anderen, gemeinsam führten
wir sie aus der Bar. Wieder sah ich keinen an. Ich glaube, wenn ich jemandem in die Augen geblickt hätte, dann
wäre ich vor Angst auf der Stelle in Ohnmacht gefallen. Die Frau hing kurz in
unseren Armen, dann ließ sie sich willenlos führen. Nach etwa
zwanzig Metern fing sie wieder lallend zu schimpfen an, diesmal auf mich und
Josefa. Sie hatte eine Fahne von enormen Umfang, mit säuerlichem Einschlag. Ekel übermannte mich, was jedoch den
aufkommenden Machtgefühlen keinen Abbruch tat. Die Macht über diese Frau stieg
mir in den Kopf, steigerte schlagartig mein Selbstwertgefühl.
Ich sagte: "Tutto va bene! "
(Alles geht in Ordnung!)
Sie stierte mich an und
schien diesen Satz zu reflektieren, kam aber wohl nicht ganz klar damit. Ich
fragte mich, ob er grammatikalisch falsch, oder ob sie völlig hinüber war.
"Tutto va
bene", wiederholte ich.
Wieder dieser stiere
Blick, wieder schien sie mit leicht rollenden Augen im wackelnden Kopf zu überlegen,
was diese Worte wohl bedeuten mochten, bevor sie in ihrem Rausch als bloße
Laute untergingen.
"Wir bringen sie zu
mir", sagte Josefa.
Teilweise ihren
torkelnden Schritt dirigierend, teilweise sie schleppend, waren wir noch keine
fünf Minuten weit von der Bar weg, als ich plötzlich merkte, dass uns jemand
gefolgt war. Es war ein Mann aus dem Cafe. Jäh bekam ich Herzklopfen und einen
trockenen Mund; vielleicht hatte ich schon vorher einen trockenen Mund gehabt,
nach dem vielen Kotzen, aber jetzt erst fiel er mir auf, denn die Zunge klebte
am Gaumen; und während ich schluckte und schluckte, suchte ich krampfhaft nach
einem Ausweg.
"Senti, wohin gehst
du mit meiner Frau?"
Er ist jetzt nah. Wir
bleiben stehen, ich drehe mich um, stehe vor einem kleinen Süditaliener, der zu
mir hochblickt und dennoch auf mich runterschaut. Etwas weiter hinter ihm sehe
ich jetzt eine zweite Figur.
"Wer sagt das?"
bringe ich mit gepresster und zu hoher Stimme heiser hervor.
"Ich!"
Er ist jetzt sehr sicher.
Er wächst um einige Zentimeter. Oder werde ich kleiner? Er ist mir zu nah, ich
kann nicht mehr denken, nur soviel weiß ich, dass ich eben einen Punkt
überschritten habe, von dem ich nicht mehr zurück kann, also stelle ich mich.
"Und wer bist
du?" kommt es aus meinem Mund.
Obwohl mein Herz rast,
hab ich plötzlich keine Angst mehr, alle
negativen Gedanken sind einer extremen Klarheit gewichen, ich seh der Gefahr
ins Auge. Die Gefahr hat einen breiten Oberkörper und kräftige Arme, das ginge
ja noch, aber die Gefahr hat sich verdoppelt: Die Figur aus dem Hintergrund ist
näher gekommen und starrt mich böse an.
Dann läuft alles wie in
einem Film ab, den ich nicht mehr beeinflussen kann: Ich sehe, wie Josefa das
torkelnde Mädchen zu einem Wagen am Straßenrand schleppt, wie der andre Mann
ihr nachgeht, wie der Typ vor mir einen Kinnhaken vortäuscht, wie ich die Hände
hebe und voll einen Schlag in den Bauch bekomme. Unwillkürlich krümme ich mich,
kriege plötzlich keine Luft mehr, die Lungenflügel kleben zusammen, ich japse,
und die Zeit steht still. Unendlich still. Jetzt erst fällt mir auf, dass es
später Abend ist, ja schon fast dunkel, eine verlassene Straße, schlecht
beleuchtet. Dann explodiert ein Feuerball in meinem rechten Auge, kurz folgt
ein Bewusstseinsaussetzer, dann spüre ich, wie mich etwas weich am Oberkörper
und dann am Kopf berührt, eine ganze Fläche ist das, die mich da trifft, und so
weich ist sie auch nicht mehr, richtig hart dröhnt sie nach. Und plötzlich
wundere ich mich, wieso ich stehen kann und gleichzeitig mit meiner linker Seite steinern hart auf dem Gehweg
liege. Wieder explodiert etwas an meinem Kopf, weiß explodiert es, und ich gehe
schlafen...
Als ich wieder zu
Bewusstsein kam, hatte ich das eigenartige Gefühl, schon seit geraumer Zeit
wach zu sein. Denn seit geraumer Zeit hörte ich immer wieder die gleiche
Stimme: "He, werd wach, die sind
weg! Aufwachen!" Weit weg war diese Stimme, sie hallte seltsam.
Ich öffnete meine Augen
und sah Manfred und Bernd, den sonnengebräunten Deutschen, die sich beide zu
mir herunterbückten. Im Hintergrund bemerkte ich Josefa, sie hatte ein gerötetes
Gesicht und eine blutverschmierte Nase.
"Gott sei Dank! Du
lebst noch! Was machst du nur für Sachen! Du kannst jetzt nicht schlapp machen,
wo ich doch eine Schlafgelegenheit brauche!" sagte Bernd. Er half mir,
mich aufzusetzen. Langsam sammelte ich mich. Ich sah eine schlecht beleuchtete
enge, hohle Straße und übergroße Häuser, sah ein übermächtiges Rom.
Manfred sah mich besorgt
an: "Ach Gott, ach Gott, diese Andre'sche, es zieht sie einfach in die Gosse!"
Fortsetzung in Kaffee mit Latte - Der Quantenf**k-Roman
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