Auszug aus Kaffee mit Latte - Der Quantenf**k-Roman
Vorgeschichte:
Tabu, der Filmdreh auf Bora-Bora; gedreht wurde trotz Warnungen einheimischer Priester an heiligen Stätten; der Film scheint verflucht zu sein: ein Mann kommt um, die Kamera versinkt im Meer, das Geld wird knapp usw.; zuerst wird der fertige Film von niemandem gemocht, bis schließlich die Paramount ihn kauft und Murnau einen lukrativen Zehnjahresvertrag anbietet. Murnau bereitet sein nächstes Projekt vor, die Verfilmung des Perutz-Romanes Von neun bis neun. Jetzt ist er auf dem Weg zu einem amerikanischen Autor, der das Drehbuch schreiben soll. Murnaus beste Freundin Salka hat ihn empfohlen. Sie machten eben Halt an einer Tankstelle. Sie, das sind Murnau, sein minderjähriger Geliebter Garcia, ferner Freeland, der Chauffeur des Packard, dann noch ein Tonmensch und Pal, Murnaus Schäferhund. Murnau hatte in der Nacht davor einen Albtraum gehabt, dessen negative Gefühle noch nachhängen...
...
Die Sonne sticht herunter, der Benzingeruch benebelt meine Sinne, seit meiner Notlandung mit einem Flugzeug im letzten Krieg benebelt Benzin immer meine Sinne, lähmt mein Bewusstsein, macht es eigentümlich matt und schwindlig.
Vorgeschichte:
Tabu, der Filmdreh auf Bora-Bora; gedreht wurde trotz Warnungen einheimischer Priester an heiligen Stätten; der Film scheint verflucht zu sein: ein Mann kommt um, die Kamera versinkt im Meer, das Geld wird knapp usw.; zuerst wird der fertige Film von niemandem gemocht, bis schließlich die Paramount ihn kauft und Murnau einen lukrativen Zehnjahresvertrag anbietet. Murnau bereitet sein nächstes Projekt vor, die Verfilmung des Perutz-Romanes Von neun bis neun. Jetzt ist er auf dem Weg zu einem amerikanischen Autor, der das Drehbuch schreiben soll. Murnaus beste Freundin Salka hat ihn empfohlen. Sie machten eben Halt an einer Tankstelle. Sie, das sind Murnau, sein minderjähriger Geliebter Garcia, ferner Freeland, der Chauffeur des Packard, dann noch ein Tonmensch und Pal, Murnaus Schäferhund. Murnau hatte in der Nacht davor einen Albtraum gehabt, dessen negative Gefühle noch nachhängen...
...
Die Sonne sticht herunter, der Benzingeruch benebelt meine Sinne, seit meiner Notlandung mit einem Flugzeug im letzten Krieg benebelt Benzin immer meine Sinne, lähmt mein Bewusstsein, macht es eigentümlich matt und schwindlig.
Garcia setzt
sich vorne ans Steuer. Ich liebe seine Bewegungen, es sind die
Bewegungen einer Katze.
"Mr.
Murnau, lassen Sie mich jetzt fahren!" reißt mich Garcia aus
meiner Reverie.
Warum nicht? Wo
er mich doch sowieso in Deutschland als Valet und Chauffeur begleiten
soll.
Deutschland,
heim zur Mutter, oh wie sehr ich mich auf sie freue. Auf ihre Art,
mich zu verstehen, ihre bestimmten Blicke der Zustimmung und der
Liebe, ihr Gesicht, das, tief eingebrannt in mir, ich wie eine
Ergänzung brauche. Meine Mutter, über ein Jahr hab ich sie nicht
gesehen. In ein paar Wochen werde ich sie wieder sehen.
Eine Hellseherin
hat mir in der Zeit meiner größten finanziellen Probleme
prophezeit, dass ich am 5. April in Deutschland ankommen werde,
allerdings auf eine andere Art, als ich es mir vorstellen sollte.
Salka hat mir geraten, diesem Urteil nicht allzu viel Wert
beizumessen. Tu ich für gewöhnlich auch nicht. Doch nach den
unheimlichen Vorfällen im letzten Jahr bin ich etwas abergläubisch
geworden.
Mr. Freeland
lässt jetzt die Reifen überprüfen.
Der Tonmann hat
irgendwelche Ideen zu Trompeten und Hörnern, aber ich hör ihm nur
halb zu, in meinem Kopf steht die Musik längst fest, zum Teil ist
sie sogar schon aufgenommen.
Ah, jetzt hat
Mr. Freeland bemerkt, dass Garcia am Steuer sitzt. Ich merke, wie es
ihn stört. Bin neugierig, wie er diese Situation meistern wird. Ich
gebe zu, ich genieße seine Betretenheit. Als Mr. Freeland nach den
Bezahlungsformalitäten zurückkommt, stelle ich mich schlafend. Ich
hör ihn Garcia fragen: "Willst du etwa fahren?"
"Ja",
sagt der Junge, "der Alte hat's erlaubt."
Der Alte? Na ja,
wenn er nur nicht immer so von mir denkt. Aber eigentlich hat er
recht. Wenn ich mich im Spiegel sehe, dann sehe ich nicht einen
Zweiundvierzigjährigen auf dem Gipfel seiner Karriere, sondern einen
älteren Mann, der Mund zu klein, die Augen zu sanft, das Gesicht zu
weich, der Körper schlaff, ausgehöhlt von den Gezeiten der
Schuldgefühle, der Heimlichkeiten und der übertretenen Tabus.
Wenn ich in den
Spiegel blicke, dann erkenne ich einen dekadenten Mann, bürgerlich,
verwöhnt und weit entfernt, für den Mann von der Straße zu
schreiben. Genau genommen weiß ich gar nicht, wer der Mann von der
Straße ist. Um ehrlich zu sein, im Innersten verachte ich sogar den
einfachen Menschen als unsensibel, als ungebildet, als geistlosen
Mitläufer, obwohl ich mich immer wieder in seine Niederungen begebe,
um mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen, meist vergeblich.
Wenn ich in den
Spiegel blicke, dann sehe ich meine Mutter, die immer noch großen
Einfluss auf mich hat. Irgendwie lässt mich ihre übergroße Liebe
nicht zur Ruhe kommen. Sie darf nie von meinen erotischen
Extravaganzen erfahren. Oft habe ich Schuldgefühle, ihr in die Augen
zu sehen, denn sie könnte vielleicht etwas davon merken. Vielleicht
erklärt das die große Macht, die sie auf mich ausübt. Salka meint,
ich sollte ihr mal alles erzählen. Sie würde mich sicherlich
verstehen. Vielleicht tu ich es diesmal!
Wir fahren los.
Ich beobachte heimlich Garcia. Er ist voll in seinem Element, Stolz
scheint ihn zu beseelen. Ein Packard! Fast scheint es mir, als ob in
diesem Augenblick nicht Garcia den Packard fährt, sondern der
Packard ihn.
Das Rauschen des
Fahrtwindes, der mir leicht übers Gesicht streift, macht mich
schläfrig. Ich schließe die Augen, ich geh auf in der Masse des
wuchtigen Wagens.
Ich mag dieses
Leben. Auch wenn es mich anödet. Es ödet mich an, weil ich schon
lange nichts Neues mehr erlebe. Weil ich schon lange nicht mehr so
intensiv lebe wie auf Bora Bora. Seit ich wieder in Hollywood bin,
neige ich zu Depressionen. Könnte ich noch einmal leben, ich würde
mir ein Leben mit Nervenkitzel aussuchen, mit schmaler Börse und mit
leichtem Gepäck.
Irgendwie kommt
mir die Geschwindigkeit, mit der wir über die schmale Landstraße
schießen, doch etwas zu hoch vor: Ich öffne die Augen und blicke zu
Mr. Freeland, der dahindöst, was mich vorerst mal beruhigt...
Meine Gedanken
kehren wieder zu Zwischen Neun und Neun zurück. Ich
überfliege in Gedanken die Bildsymbolik, die ich verwenden möchte:
In der Bücherei lässt schon das Licht im Hintergrund - das große,
mehrfach unterteilte Fenster wirft Schatten, die wie die Gitterstäbe
eines Gefängnisses wirken - die allernächste Zukunft des Studenten
ahnen. Dann die Handschellen, die der unschuldige Student nach seiner
Flucht versteckt tragen muss...
Plötzlich:
Ominöse Ahnungen schießen in mir hoch; ein heftiger Ruck des Wagens
reißt mich in die Gegenwart; als ich die Augen öffne, rast ein
Telegrafenmast auf uns zu...
Der Schock fährt
mir in alle Glieder, ich bereue den Entschluss, Garcia ans Steuer
gelassen zu haben. Ich bereue ihn mit unheimlicher Vehemenz. Oh,
könnte ich doch alles rückgängig machen!
Ich werde aus
dem Wagen geschleudert, scheine kurz zu fliegen. Ein gewaltiges
Krachen, ein Blitz, ein Druck im Kopf, kein Schmerz, nur heiß und
weiß und nass ist alles, ich verlier die Orientierung. Dann wird es
schwarz.
Ich gehe auf
einer Straße. Eine einsame Straße ist das, die Straße weint und
stöhnt, als wollte sie ungeschehen machen, was geschehen ist. Etwas
Unheimliches breitet sich in mir aus. Ich sehe vor mir eine Gruppe
von Leuten, die sich um etwas am Boden scharen. Als ich hingehen
will, merke ich, dass ich schwebe. Diese Fähigkeit erschreckt mich,
genauso wie die Tatsache, dass die Körper der Leute überhaupt kein
Hindernis darstellen. Und dann sehe ich ihn: Vor mir liegt ein Mann
am Boden, puppenhaft hingestreckt. Erneut überkommt mich eine
schreckliche Ahnung. Jetzt erkenne ich das Gesicht. Oh Gott, es ist
meines!
Schock! Alles
wird schwarz.
Plötzlich stehe
ich wieder vor dieser kalten bleichen Schönheit mit den schwarzen
Haaren, die ich ... woher kenne? Richtig! Der Traum! Träume ich
immer noch? War ich nicht schon wach gewesen?
Dann wieder
Schwärze.
In einem
klinisch weißen Zimmer, in einer Ecke ganz oben, erwache ich und
schaue runter. Da ist ein Bett, darauf ein Körper, unter einer
weißen Decke. Das Gesicht ist seltsam vertraut, der Verband am Kopf
irritiert mich. Dann sehe ich eine Frau, die vor dem Bett sitzt und
weint. Ist das nicht Salka? Ich verstehe erst nicht, doch dann
kommt's mir mit voller Wucht: Das da, im Bett, das bin ich...
Schwärze.
Jetzt sehe ich
einen nackten bleichen Körper auf einem Metalltisch, stelle nüchtern
fest, es ist meiner, sehe seinen geöffneten Kopf, sehe Männer in
weißen Kitteln, die sich am Kopf zu schaffen machen, daran und darin
herumschneiden. Sehr kalt ist hier alles, auch das Gebaren dieser
Männer. "Diese hier im Gehirn eingedrungenen Knochen", sagt einer der Männer,
seinen Kopf über meinem beobachtend hin- und herbewegend, "die
waren wohl der Grund für den Exitus."
Nur weg hier,
ist mein alles ausfüllender Gedanke!
Da: ein Schiff.
Da: ein Frachtraum. Obwohl es dunkel hier ist, sehe ich sehr gut. Da:
ein Sarg. Ist das ein Film? Ein Traum? Oder Wirklichkeit?
Ich erwache
mitten in einem Begräbnis, seltsam vertraut sind mir die Gesichter
der Trauernden...
Schwärze...
... jetzt bin
ich jener Königssohn, der vor langer langer Zeit auf Mu gelebt -
dort, wo später Bora Bora sein wird...
Der in tiefer
Meditation die Zukunft schaut...
Der viele Tode
sieht, zwingend und unausweichlich...
Denn davor war
etwas so Fürchterliches geschehen, dass er sühnen muss.
...
Mehr bald.
...
Mehr bald.